Im letzen Artikel Der Tod der Deadline ging es um ungünstiges Verhalten im Führungsbereich, wenn Deadlines nicht eingehalten werden können. Dies lässt sich jedoch auch auf jedes andere gesteckte Ziel münzen, welches verfehlt wurde. Das denkbar ungünstigste Verhalten als Führungskraft ist das Suchen nach Schuld – im “Idealfall” von greifbaren Schuldigen in Person. Aber wieso ist dieses Verhalten so ungünstig und wenn das der Fall ist, warum verfällt der Mensch so oft in dieses Muster?

Gehen wir doch zuerst einen Schritt zurück…

Was ist überhaupt Schuld?

Menschen haben von Geburt an ein stark ausgeprägtes Empfinden, was richtig und was falsch für uns ist. Dieser Gerechtigkeitssinn sitzt innerhalb unseres Gehirns im präfrontalen Cortex und im Striatum. Diese beiden Hirnbereiche bewerten und richten kontinuierlich darüber, ob etwas für uns gerecht oder unfair erscheint.

Die Grundlage für unseren Gerechtigkeitssinn bilden primär die Werte und Normen, die wir persönlich für uns angenommen haben. Zusammen können Individuen in Form von sozialen Gebilden wie z.B. Unternehmen und Staaten sich gemeinsame Werte und Normen festlegen, die dann für alle gelten und somit unseren sekundären Kompass bilden.

Eine Schuld ist ein Verstoß gegenüber diese Werte – und wir spüren dies sehr genau. Die Antenne dafür ist unser Gerechtigkeitssinn.

Bei der Umgang mit Schuld verhält sich wie bei einem Bankkonto. Wird etwas von einem Konto abgezogen, fordert die Bank irgendwann den Ausgleich. Wenn dieser nicht erfolgt, wird die Bank entweder den Ausgleich über das Inkasso einfordern oder in aussichtslosen Fällen abschreiben müssen. Vertrauen wäre in diesem Bild sowas wie ein Dispokredit, den wir gewähren. Er ist begrenzt und sollte immer wieder ausgeglichen werden.

Süße Rache

Sollte es nicht ausgeglichen werden, tritt das Inkasso in Kraft – und die Inkasso-Institution des menschlichen Verhaltens gegenüber einem überzogenem Schuldkonto ist die Rache. Die Ausführung ist die Strafe.

Zu unserem Gerechtigkeitssinn gesellt sich in unserem Gehirn das interne Belohnungssystem – auch Nucleus accumbens genannt. Es sendet Erregungspotenziale an andere Gehirnstrukturen, die Zufriedenheit und Freude auslösen.

Und jetzt kommt das richtig Spannende: Psychologische Experimente haben herausgestellt, dass unser Belohnungssystem aktiv wird, wenn wir Rache in Form von Strafe ausführen – bzw. ausgeführt wird.

Und somit stimmt der Spruch wahrhaftig: Rache ist wirklich süß.

Unser Gehirn also so aufgebaut, dass wir uns schlecht fühlen, wenn wir Schuld wahrnehmen und gleichzeitig belohnt es uns, wenn wir diese mit Hilfe von Strafe wieder ausgleichen.

Das ist der biologische und psychologische Ausgangspunkt

Alternative: Lösungsorientierte Zusammenarbeit

Diese oben genannten Emotionen sind real und vollumfänglich Bestandteil des menschlichen Verhaltensrepertoires. Und somit es logisch, dass Menschen nach Schuldigen suchen, wenn ein z.B. ein wichtiges Projekt schiefläuft oder eine wichtige Deadline nicht eingehalten wurde.

Es ist absolut verständlich – es ist tief in uns Menschen eingebaut. Auf der anderen Seite gibt es eine viel wichtigere Frage:

Welchen Sinn hat das Suchen von Schuldigen und deren Bestrafung bei der Lösung von Problemen?

Gar keinen – außer das gute Gefühl bei dem Vollzug der Rache – entschuldigung: Sanktion. Das wars. Sie bekommen mit diesen Sanktionen keine Deadline besser hin, kein Projekt besser gestemmt. Ihr Verhalten ist in diesem Fall passiv-agressiv und trägt nichts zur Lösung bei. Noch schlimmer: Es entsteht ein Kreislauf, wenn der Betroffene mit Demotiviertheit oder Passivität am Arbeitsplatz zurück “straft”. Dieser Kreislauf entfernt das Team noch weiter von notwendigen Lösungen – gerade in schwierigen Situationen.

Und genau hier liegt Ihre Aufgabe als Führungskraft: Das Sie aktiv in das Geschehen eingreifen, diesen Kreislauf unterbrechen und die Mitarbeiter dabei unterstützt, das Richtige zu tun. Defizite zu sehen, offen zu benennen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

So geht gehen Sie richtig damit um, wenn etwas schiefläuft:

  1. Gehen Sie nicht Ihrem natürlichem (!) Reflex nach und vermeiden Sie die “Schuld-Logik”
  2. Erfassen sie die Defizite, die zu Ihrem Problem geführt haben und sprechen Sie diese offen an. Keine falsche Harmonie.
  3. Erarbeiten Sie gemeinsamen mit den Betroffenen Lösungen und bieten Sie Hilfe an. Gehen Sie immer davon aus, dass ein Defizit unabsichtlich entstanden ist und keine böse Absicht war
  4. Zuerst das Problem lösen – Retrospektive und Manöverkritik hinterher
  5. Nach systemischen Fehlern suchen und diese beheben. Beispiel: Beim manuellen Testing immer wieder Fehler übersehen, da nicht alle Seiteneffekte erfasst werden. Systemische Lösung: Automatische Testsuites testen die Anwendung nach jeder Änderung.

Der lösungsorientierte Ansatz ist jedoch nicht zu verwechseln mit:

  1. Ein Mitarbeiter hat gegen grundsätzliche, ethische Regeln verstoßen, wie sexuelle Belästigung, Diskriminierung, Mobbing o.ä. – dies sind keine Businessziele, die verfehlt worden sind. Solch ein Verhalten muss angemessen geahndet werden
  2. Verweigern des lösungsorientierten Ansatzes. Der Mitarbeiter arbeitet defakto gegen eine Lösung für ein Businessziel. Hier gilt es, mit dem Mitarbeiter das Gespräch zu suchen, dieses beobachtete (!) Verhalten zur Sprache zu bringen und eine Änderung zu verlangen. Bei weiterer Nichteinhaltung sollten angemessene Sanktionen erfolgen.

Bei diesen Sanktionen geht es nicht um das Ausleben einer Rache – dies sollte nie der Antrieb für eine Führungskraft sein – sondern das Einfordern eines angemessen Verhaltens und der Zuarbeit eines Mitarbeiters zum Wohle des Unternehmens.

Bei allen anderen Fällen helfen Sie Ihren Mitarbeitern, die Probleme lösungsorientiert so schnell wie möglich zu beheben und bieten Sie Ihre Hilfe an.

Quellen

https://www.nature.com/articles/nature08785 Nature, Neural evidence for inequality-averse social preferences

https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/schon-kleinkinder-verfuegen-ueber-gerechtigkeitssinn-13654665.html FAZ, So klein und so gerecht

https://de.wikipedia.org/wiki/Ding_an_sich Wikipedia, Ding an sich

https://www.sueddeutsche.de/wissen/psychologie-warum-fuehlt-es-sich-so-gut-an-wenn-die-gerechtigkeit-siegt-1.3796594 Süddeutsche, 21.12.2017, Warum fühlt es sich so gut an, wenn die Gerechtigkeit siegt?

http://www.sgipt.org/forpsy/strafe/psystraf0.htm Allgemeine und integrative Psychologie der Strafe